2. Quartalsbericht: Mein Austauschjahr  in Brasilien 2010/11    (29.12.2010)

 

 

Sehr geehrte Rotarier des Rotary-Clubs  Gummersbach,

 

Jetzt bin ich schon fast fünf Monate hier in Brasilien, es ist wirklich Wahnsinn, wie schnell die Zeit rennt. Da freut man sich fast zwei Jahre auf seinen Austausch und plötzlich ist er schon zur Hälfte um.

Seit meinem zweiten Quartalsbericht habe ich hier wieder viel erlebt, gelernt und gesehen, es ist gar nicht so einfach, drei Monate zusammenzufassen, aber ich gebe mein Bestes:

Anfang Oktober war das erste Inbound-Meeting  von meinem Distrikt 4640 in Foz do Iguacu. Mit allen 46 Austauschschülern  des Distriktes haben wir die Iguacu-Wasserfälle und den Itaipu-Staudamm besichtigt, waren in Paraguay shoppen und haben eine Samba-Show besucht. Dabei hatten wir die Gelegenheit uns kennen zu lernen, auszutauschen  und mehr über andere Länder und Kulturen zu erfahren. Gleich nach unserer Ankunft im Hotel haben wir uns unterhalten und Pins ausgetauscht , die „Ice breaking“ und Kennelern-Spiele  am Abend wären eigentlich schon nicht mehr nötig gewesen; im Gegenteil, es war, als würden wir uns schon ewig kennen und ich habe sofort  nachvollziehen können, dass viele Rebounds die anderen Austauschschüler  als eine „große Familie“ bezeichnen. Es ist wohl egal, ob man 15 oder 20 Jahr alt ist und ob man aus Belgien, Thailand oder Mexiko kommt, letztendlich sind wir alle in der gleichen Situation, und somit auf der gleichen Wellenlänge. Auf einer Orientation haben wir Informationen über die Reisen bekommen und viel über die Besonderheiten von Brasilien gelernt. Dieses Wochenende war ohne Zweifel eines der schönsten und interessantesten in meinem Leben, es hat mir einen kleinen Einblick in die Verschiedensten Kulturen und Länder der Welt gegeben und ich habe so viele liebe Menschen aus so vielen verschiedenen Erdteilen kennen gelernt. Länder, die „früher“ für mich nicht mehr als ein Platz auf der Landkarte waren, sind jetzt mit Personen verbunden und haben gleich eine ganz andere Bedeutung bekommen. Als Sonntagmorgens dann alle wieder in ihre Städte zurück mussten, ist der Abschied echt schwer gefallen, aber gleich zwei Wochen später hatte ich die Gelegenheit einen Großteil der andern Inbounds wieder zu sehen. Da sich hier in Brasilien gut doppelt so viele Schüler für den Jugendaustausch mit Rotary bewerben wie Plätze vorhanden sind (in diesem Jahr waren es 120 Schüler für 50 Plätze) gibt es im Herbst eine große Auswahlprüfung für die zukünftigen Outbounds, zu der auch wir Inbounds eingeladen waren. Nach einer kurzen Vorstellung haben wir Fragen beantwortet und schließlich noch alle zusammen Mittag gegessen. 

Ende Oktober war der 15.Geburtstag von einer Mitschülerin; ein Ereignis, dass ich wohl nicht so schnell vergessen werde. Die 15. Geburtstage von Mächen werden hier sehr groß gefeiert, weil das Mädchen dann als erwachsen gillt. Alles begann schon mit der Beschaffung eines Kleides; ich war mit meiner Gastmutter bei einer Schneiderin, die innerhalb von einer Woche mein Kleid genäht hat. Der eigentliche  Geburtstag lässt sich vielleicht mit einer größeren Hochzeit bei uns vergleichen, viele Reden, Tränchen, Gäste und Fotos, leckeres Essen und: Tanzen. Nachdem das Geburtstagskind mit einem Walzer mit ihrem Vater die Tanzfläche eröffnet hat wurde noch bis tief in die Nacht rein getanzt. Ja, die Brasilianer haben den Rhythmus wirklich im Blut. Ich stand am Anfang etwas zögernd daneben, ohne jegliche  Ahnung von irgendwelchem Tanzen, aber schneller  gedacht wurde ich ins Gedränge hineingezogen  und habe mitgemacht.

Das hier bei jeder Gelegenheit getanzt wird, habe ich bald wieder zu sehen bekommen;  meine Stadt hat ihren 64. Geburtstag gefeiert: Begonnen hat alles  ende November, mit einem Gesangswettbewerb, der von der Gemeindeverwaltung organisiert wurde und bei dem fast die ganze Stadt als Zuhörer anwesend war. Am dritten Tag gab es als Höhepunkt ein Konzert der Sertaneja-Sänger  Guilherme und Santiago. Das alles wurde ebenfalls von der Gemeinde bezahlt und war dementsprechend gut besucht. Die Stimmung war mit nichts zu vergleichen, was ich bisher erlebt habe: Schon zwei Stunden vor Beginn des Konzerts, im strömenden Regen, wurde gesungen, gelacht und getanzt, es war einfach unglaublich. Am eigentlichen Geburtstag der Stadt war ein großer Straßenumzug, auf dem sämtliche Schulen und Vereine mitgegangen sind, so auch ich als Austauschschülerin für meine Schule.

Am 4.Dezember stand für mich dann ein anderer Umzug, nämlich der zu meiner zweiten Gastfamilie bevor. Diese hatte mittags eine Churrasco mit meiner ersten Familie und Verwandten organisiert und besteht aus meinen noch sehr jungen Gasteltern Edi und Marcos und ihren zwei Hunden. Ich wohne jetzt in einem ganz neuen Haus, etwas abseits vom Zentrum, aber trotzdem sehr schön. Obwohl ich mich mit meiner ersten Gastfamilie immer gut verstanden habe und mir der Abschied schon etwas schwer fiel, habe ich mich letztendlich sehr auf den Wechsel gefreut und hatte keine Probleme, mich in die neue Familie einzuleben. In der zweiten Dezemberwoche begannen dien Sommerferien die ich seitdem mit ausschlafen, Eis, schwimmen und meistens gutem Wetter voll und ganz genieße. Ich habe seit November Gitarrenunterricht, gehe weiterhin ins Fitnessstudio, zu den Interact und Rotary-Meetings, und zum Portugiesischunterricht, treffe mich mit Freunden und habe eigentlich immer etwas zu tun. Abends gehen Edi und ich oft mit den Hunden spazieren und wenn sie nicht arbeiten muss gehen wir zusammen ins Freibad oder machen (wenn das Wetter mal nicht so sommerlich ist) gemütliche DVD-Abende.

So ist der Dezember für mich sehr schnell und mit vielen neuen Erlebnissen vergangen und plötzlich stand Weihnachten vor der Tür. Zwar wurde in meiner Stadt ganz groß „die Ankunft des Weihnachtsmanns  und Eröffnung der Lichter“ gefeiert, die Praza (Stadtplatz) ist voll mit Lichterketten und in den Schaufenstern stehen die Plastiktannen und Weihnachtsmänner, aber weihnachtlich ist für mich etwas anderes. Mir schien und scheint die Vorstellung immer noch unrealistisch, dass in Deutschland der Schnee und man hier bei 35°C im Pool liegt. So etwas wie eine Adventszeit gibt es gar nicht, den einzigen Adventskranz habe ich in der Kirche gesehen. Über Weihnachten sind meine Gasteltern mit mir nach Rio Grande do Sul gefahren, zu der Familie meiner Gastmutter, wo wir auch Weihnachten gefeiert haben. Der Süden Brasiliens ist sehr durch die italienischen und deutschen Einwanderer geprägt, wir waren in einem deutschen Freilichtmuseum, in dem sogar ein kleiner Weihnachtsmarkt war, haben ein Weinmuseum und noch einige andere Sehenswürdigkeiten besucht. Die Städte im Süden sind die reichsten in Brasilien, und gerade zu Weihnachten voll mit Touristen, es werden große „Shows“ mit dem Lichterschmuck in der Stadt und dem „Weihnachtsmann“ (Papai Noel) gemacht. Weihnachten war dann aber sehr brasilianisch;  Heiligabend war normaler Werktag, abends haben wir mit der Familie Churrasco gegessen und mit kleinen Geschenken gewichtelt. Um 24Uhr wurde dann  der Nachtisch verteilt, die Nachbarn haben Feuerwerk gemacht und wir haben uns gegenseitig umarmt und einander „Feliz Natal“ gewünscht. Danach haben wir noch lange zusammen gesessen, weitere kleine Geschenke verteilt, uns unterhalten und gegessen.  Am ersten Feiertag wurde erst einmal ausgeschlafen, dann gab es wieder Churrasco und damit war eigentlich alles schon wieder vorbei. Es war auf jeden Fall eine Erfahrung wert, Weihnachten einmal so anders zu erleben, ich freue mich trotzdem schon jetzt auf das nächste, wieder deutsche, Weihnachten in der Kälte und mit meiner Familie.

Jetzt sind wir wieder zurück in meiner Stadt und ich habe noch bis Mitte Februar Ferien, in denen ich noch nach Florianopolis und an den Strand von Santa Catarina fahren werde.

Mir geht es wirklich super hier, ich genieße mein Austauschjahr  voll und ganz. Auf Portugiesisch kann ich mich schon sehr gut verständigen, ich lerne täglich dazu. Da ich mich jetzt wirklich unterhalten kann werde ich auch immer mehr über Deutschland und mein Leben dort gefragt; es ist wirklich interessant wie viel manche Leute hier über Deutschland wissen und wie wenig andere. Viele Brasilianer fühlen sich mit Deutschland sehr verbunden, weil, gerade hier im Süden, viele die Nachkommen der deutschen Einwanderer sind.  Neben Schnee und deutschem Essen interessieren sich die meisten Leute hier sehr dafür, was ich  (bzw. „die Deutschen insgesamt“) über Brasilien denke (n) und sind sehr um das „Image“ ihres Landes besorgt. Bei solchen Gesprächen lerne ich natürlich auch viel über Brasilien und bekomme einen völlig neuen Blickwinkel auf die deutsche Kultur.

Als ich vor einer Woche eine Mail bekam, ich müsse meinen Rückflug nach Deutschland buchen wurde mir wieder einmal bewusst, wie schnell die Zeit vergeht und schon jetzt habe ich „Saudades“ (Sehnsucht) nach Brasilien. Zum Glück bleibt mir noch ein halbes Jahr hier, das ich so gut ausnutzen werde wie möglich und natürlich freue ich mich auch schon, meine Familie in Deutschland wieder zusehen...

 

Vielen Dank, dass Sie mir ermöglichen, hier all diese Erfahrungen zu sammeln und so viel dazuzulernen!

Feliz Ano novo e Abracos,

 

Elena Rother